Liebe Lydia, schön, dass Du Dir die Zeit genommen hast, um unseren Studierenden an der Euro-FH einen Einblick in Deinen Arbeitsbereich und Deine Themen zu geben. Zunächst aber gerne ein paar Worte zu Dir persönlich: Wer bist Du, woher kommst Du und was machst Du aktuell?
Lydia Bühler: Erst einmal vielen Dank, dass ich heute über das Thema Nachhaltigkeit und meine Forschungen sprechen kann, das freut mich sehr! Zunächst einmal bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS. Studiert habe ich an der Universität in Bamberg im Bereich der Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Produktion, Logistik und Supply Chain Management (SCM). Bereits als Studentin war ich als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut tätig. Ich komme ursprünglich aus Baden-Baden und bin durch das Studium ins schöne Frankenland gezogen und dann hiergeblieben.
In meiner Forschungsarbeit beschäftige ich mich unter anderem mit der Digitalisierung, insbesondere wie man digitale Technologien, z. B. IoT-Technologien oder auch Data Analytics-Methoden nutzen kann, um Nachhaltigkeit umzusetzen.
Bei der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services setzt Du Dich stark für die »Smarte Circular Economy« ein? Was ist das genau?
Lydia Bühler: Einer meiner Forschungsschwerpunkte ist die »Smarte Circular Economy« in der produzierenden Industrie. Dabei geht es um die Frage, wie durch den Einsatz digitaler Technologien und die Nutzung von Daten natürliche Ressourcen, Baugruppen oder Produkte möglichst lange genutzt werden können, wie Abfälle und Verschmutzungen z. B. in Produktionsprozessen vermieden werden können und wie die Umwelt auf diese Weise regeneriert werden kann. Die Circular Economy ist letztlich ein Schirmkonzept, dass durch die sogenannten »R–Strategien« der zirkulären Wirtschaft in der betrieblichen Praxis umgesetzte werden kann: Dabei sind Reuse, Refurbishment, Remanufacturing und Recycling vier von insgesamt 10 »Rs«, die im produzierenden Umfeld eine große Rolle spielen.
Welche Rolle spielt bei der Circular Economy die Logistik?
Lydia Bühler: Das Grundverständnis einer linearen Wertschöpfungskette ist aus heutiger Denkweise nicht mehr zukunftsfähig. Zum einen gilt es gesellschaftliche Nachhaltigkeitsziele wie »CO2-Neutralität« umzusetzen und zum anderen wird das alte Modell durch den enormen Ressourcenhunger mit steigenden Bevölkerungszahlen den Realitäten nicht mehr gerecht. Genau hier können neue Geschäftsbereiche für die Logistikbranche entstehen. Die Logistik ist künftig nicht nur für den nach vorne gerichteten Wertschöpfungsstrom verantwortlich, sondern auch für die Rücktransporte, sodass Rohstoffe bis hin zu Produkten aufbereitet oder recycelt in den Kreislauf wieder eingegliedert werden können.
Hand aufs Herz: Wie nachhaltig lebst Du privat? Gab es ein Schlüsselerlebnis, dass Dich bewegt hat nachhaltiger zu leben?
Lydia Bühler: Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt mich bereits seit meiner Kindheit. In meiner Familie wurde ich zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit positiv sensibilisiert. Beispielsweise sind wir mit der Familie nicht in den Urlaub geflogen, sondern mit dem Zug, dem Auto oder dem Fahrrad gefahren. Persönlich lebe ich zwar einen nachhaltigen Lebensstil, z. B. durch Einkauf von regionalen und saisonalen Produkten. Den größten persönlichen Stellhebel sehe ich aber durch meinen Beitrag in der Forschung. Ich kann Unternehmen für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren, mit ihnen gemeinsam Lösungskonzepte erarbeiten und ihnen den Mehrwert aufzeigen, wenn ökologisches Handeln auch ökonomisch einen Benefit mit sich bringt.
Wie definierst Du Nachhaltigkeit? Und was bedeutet Nachhaltigkeit in Logistik und SCM?
Lydia Bühler: Über Nachhaltigkeit wird derzeit sehr viel geredet und es ist ein sehr facettenreicher Begriff, den man anhand verschiedener Kennzahlen ganz gut operationalisieren kann. Viele Menschen denken sofort an das Thema CO2. Auch in der Logistik ist der CO2-Ausstoß einer der zentralen Kenngrößen. Ökologische Nachhaltigkeit ist jedoch noch mehr. Beispielweise wenn es darum geht Dinge wiederzuverwerten, Stoffkreisläufe zu schließen oder auch Wasserverbräuche zu reduzieren und Biodiversität zu leben. Spannendes Themenfeld ökologischer Logistik ist z. B. auch der Flächenverbrauch von Logistikimmobilien. Hier bedarf es Konzepte, die der Flächenversiegelung entgegenwirken, z. B. durch Bauen in die Höhe.
Welche Projekte oder Studien kannst du den Euro-FH Studierenden zum Thema Nachhaltigkeit empfehlen?
Lydia Bühler: Hier empfehle ich die Homepage der »Ellen MacArthur Foundation«, eine gemeinnützige Organisation, die sich als Vordenker, treibende Kraft und Wegbereiter beim Übergang zu einer Circular Economy versteht. Hier kann man sich verschiedene White Paper kostenfrei ansehen und bekommt viele Daten, Zahlen und Fakten bereitgestellt. Darüber hinaus gibt es noch die »acatech Initiative«, die mit ihrer »Circular Economy Initiative Deutschland« eine Roadmap für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft in Deutschland vorantreibt. Mit der »Plattform Industrie 4.0« des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) möchte ich auch auf einen Beitrag verweisen, an dem wir seitens Fraunhofer IIS mitgewirkt haben.
Seit wann bist Du für die Euro-FH tätig und welches Modul betreust Du? Was schätzt Du an Deiner Tutorenrolle?
Lydia Bühler: Ich bin seit Sommer 2020 für das Modul »Grundlagen der Logistik« als Tutorin zuständig und was ich besonders daran schätze ist, dass die Studierenden eine sehr holistische Perspektive auf das Thema Logistik bekommen und dass die Logistik mittlerweile auch einen sehr engen Bezug zur Digitalisierung hat.
Wie können sich die Studierenden am besten für die Klausur am Ende des Moduls vorbereiten und wie kann man Dich bei Fragen erreichen?
Lydia Bühler: Ich bin am besten über den Onlinecampus erreichbar. Bitte schreibt mir gerne bei Fragen. Zur Klausurvorbereitung empfehle ich nicht nur die Pflichtaufgaben zu lösen, sondern auch die freiwilligen Einsendeaufgaben zu nutzen, denn diese bereiten sehr gut auf die Klausur vor und bieten eine gute Selbstlernkontrolle.
Du betreust auch Abschlussarbeiten an der Euro-FH. Mit welchen Themen können die Studierenden auf Dich zukommen? Und welche Tipps kannst Du ihnen mitgeben, um ein geeignetes Thema zu finden und eine gute Forschungsfrage zu formulieren?
Lydia Bühler: Nachhaltigkeit hat einen so enormen Drive; gerade für Unternehmen, aber auch in der Wissenschaft. Deshalb bin ich mir sicher, dass es genug Forschungsbedarf gibt und dementsprechend viele Forschungsfragen gestellt werden können. Gute Fragestellungen lassen sich z. B. in der Nachhaltigkeitsabteilung der Unternehmen finden, falls diese institutionalisiert sind. Darüber hinaus ist es sehr interessant, sich mit den Nachhaltigkeitsberichten der Unternehmen auseinander zu setzen. Meist sind die gesteckten Ziele der Unternehmen sehr sportlich und diese können einen guten Anknüpfungspunkt für offene Forschungsfragen sein. Die interessantesten Themen sind aus meiner Sicht immer die, die direkt aus der Praxis kommen, weil man da auch wieder im Rückkehrschluss den größten Hebel für Nachhaltigkeit hat. Forschung ist ja nie Selbstzweck, man forscht schließlich nicht um des Publizieren willens, sondern letztlich, um die Ergebnisse in die Praxis zurückzuspielen.