Interview mit Martin Schwemmer als Autor der Studie
Ihr Fazit nach der aktuellen Vermessung der Logistik: Was hat den Markt am meisten bewegt?
Der Wachstumstreiber schlechthin ist auch in diesem Jahr der E-Commerce. Davon profitieren schon lange nicht mehr nur die Paketdienste, sondern auch die Landverkehre oder die auf den Handel ausgerichtete Kontraktlogistik. Dies gilt aber leider nicht für den Massenguttransport: hier fehlen die Impulse für Wachstum, denn E-Commerce spielt in diesem Bereich keine Rolle. Was die Beschäftigten der Logistik betrifft, verzeichnet das Wachstum um rund 3,5% und damit um mehr als 100.000 Menschen eine insgesamt sehr erfreuliche Entwicklung des Sektors.
Was zeigt der Blick ins neue Jahr: Welche Chancen und Herausforderungen bieten sich der Logistikwirtschaft 2019?
Eine wesentliche Herausforderung kommt nicht erst nächstes Jahr auf die Branche zu, sondern ist bereits heute schon ein großes Thema: der Fachkräftemangel, der sich über die letzten Jahre kontinuierlich zugespitzt hat. Wir haben einfach zu wenige Fahrer und das hemmt die Logistik, die gerne weiter wachsen würde. Automatische Lösungen sind noch nicht so weit, als dass man den Fahrer nicht mehr bräuchte. Der Fahrermangel kommt also zur Unzeit. Auch wenn heute bereits diskutiert wird, dass sich durch die Digitalisierung der Beruf wesentlich ändern und vielleicht in Zukunft gar nicht mehr benötigt wird. Derzeit sind die Fahrer aber so knapp wie nie. Das hemmt die eigentlich ganz ordentlichen Wachstumsaussichten der Logistik für das nächste Jahr. Wir gehen davon aus, dass die Logistik in Summe bis zu 3% wachsen kann in 2019.
Jetzt mal ehrlich: Ist beim Thema E-Commerce die Luft raus? Oder hält der Trend an?
Hier ist sicherlich noch nicht die Luft heraus! Tatsächlich hat der E-Commerce in den letzten Jahren für eine Dynamik gesorgt, die man kaum erwarten konnte. Mit weiterem Wachstum ist da vor allem in weiteren europäischen Ländern zu rechnen, in denen der Trend zur Bestellung im Internet noch nicht so umfänglich ist wie bei uns in Deutschland. Aber auch in Deutschland sind noch Potenziale zu heben. Das durch den E-Commerce induzierte Sendungsvolumen wird weiter steigen, wenn auch voraussichtlich nicht mehr zweistellig pro Jahr. Das Wachstum findet nun verstärkt auch im Bereich der internationalen Sendungen statt.
Mit Blick auf einen sich auch hier abzeichnenden Fachkräftemangel in den Lagern, wird es deshalb darum gehen, die Mitarbeiter dort durch Technologien zu unterstützen. Damit kann die Effizienz in der Paketabwicklung gesteigert werden. D.h. auch hier hält die Digitalisierung Einzug. Da der E-Commerce als die Digitalisierung des Handels gesehen werden kann, bricht jetzt quasi das Zeitalter der Digitalisierung der Digitalisierung des Handels an. Nein, hier ist noch kein Ende in Sicht.
Digitalisierung und Logistik: Wohin führt der Weg?
Die Antworten der vorherigen Fragen machen es ja schon deutlich: Digitalisierung schwingt in vielen Themen, die die Logistik beschäftigen, mit. Und sie ist auch so langsam in den Köpfen der Entscheider angekommen, so dass Projekte folgen. Diese Projekte sind aber so vielschichtig, dass es in der Kürze kaum gelingen wird, alle Stoßrichtungen aufzuzählen.
Leider hat sich durch diese Vielfalt auch kein Standard entwickelt, auf den man zeigen und sagen kann: Liebe Logistiker, bitte macht es doch alle so! Für die Logistikdienstleister muss vor allem der Businesscase stimmen: Eine Technologie wird nicht eingesetzt werden, wenn die Investitionen sich nicht in absehbarer Zeit amortisieren. Außerdem müssen sich Logistikdienstleister mit ganz unterschiedlichen Problemstellungen auseinandersetzen. Deshalb warteten viele Unternehmen in den letzten Jahren eher ab.
Eine erfreuliche Entwicklung hat die Diskussionen zum Schlagwort Digitalisierung noch hervorgebracht, und zwar einen Trend zur Weiterentwicklung in den Logistikunternehmen, aber auch außerhalb von diesen. Hier sind vor allem Startups zu nennen, die mit einer Bandbreite an frischen Geschäftsideen viel Anschauungsmaterial zum Thema Digitalisierung und Innovation in der Logistik bieten. Langfristig führt Digitalisierung damit zu etwas, das man vielleicht als die »Neue Logistik« bezeichnen könnte.
Daten, Daten, noch mehr Daten: Wie werden daraus in der Logistik Fakten?
Daten sind ein gutes Stichwort. Das ist einer der gemeinsamen Nenner, der in den vielschichtigen Projekten mit Digitalisierungsbezug von Bedeutung ist. Zu jedem Päckchen, das sich physisch bewegt, fließen mehr Daten denn je: Lokalisierungsdaten, Zustandsdaten, Verbrauchsdaten, Daten für Bestell- und Zahlungsvorgänge und so weiter. Beamen können wir Pakete zwar noch lange nicht, aber ein guter Teil einer physischen Sendung wird auch jetzt schon in der digitalen Welt bewegt.
Die Logistik muss lernen, nicht nur Gewicht zu transportieren, sondern auch die begleitenden Daten. Natürlich sind auch hier die Herausforderungen nicht weit. Wir sprechen von Datensicherheit, Datenhoheit und Schnittstellenprobleme beim Datentausch. Ganz zu schweigen von der mangelnden Bereitschaft, Daten im großen Stil zu tauschen.
Aber die Potenziale sind sehr hoch einzuschätzen. So eignen sich bspw. sauber strukturierte Sendungsdaten dafür, mit fortschrittlichen Auswertungsmethoden aus dem Analytics-Bereich wie Predictive Analytics oder Machine Learning die Optimierung und Weiterentwicklung von Logistiknetzen und Geschäftsmodellen voranzutreiben. Aber auch in der Künstlichen Intelligenz wird es nicht ohne den Menschen gehen, denn für den Umsetzungserfolg braucht es mehr als gut vernetzte Computer. Datenfehler und inkonsistente Datenreihen kann bis dato kein Algorithmus korrigieren. Am schlagkräftigsten wird deshalb immer ein Team aus menschlicher UND künstlicher Intelligenz sein.