Langfristig zuverlässig: Ersatzteilbedarfe für das nächste Jahrzehnt vorhersagen

Entwicklung eines Prognosetools für die Endeindeckung von Ersatzteilen

BSH Ersatzteilprognose: Lager mit Ersatzteilen
© Adobe Stock@Maik

Die BSH Hausgeräte GmbH ist eines der weltweit führenden Unternehmen der Branche und der größte Hausgerätehersteller in Europa. Weltweit beschäftigt BSH knapp 60.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und unterhält ein entsprechend großes Vertriebs- und Kundennetz, zu dem auch eine Reihe an Zentrallägern für Ersatzteile gehören. Ein wesentliches Element des Qualitätsversprechens von BSH ist die lange Lebensdauer ihrer produzierten Geräte. Dazu gehört die Gewährleistung von Ersatzteilverfügbarkeit, um Reparaturen und Wartungen langfristig durchführen zu können – auch wenn das Gerät gar nicht mehr produziert wird. Eine große Herausforderung für das Unternehmen: Denn zum Ende der regulären Produktionslaufzeit müssen Disponentinnen und Disponenten abschätzen, wie viele Ersatzteile zu den jeweiligen Produkten in den nächsten Jahren wahrscheinlich nachgefragt werden und entsprechende Mengen vorproduzieren und einlagern lassen.

Bedarfsschätzung aus Erfahrung

Disponentinnen und Disponenten bei BSH und anderen Herstellern entscheiden traditioneller Weise über die einzulagernden Ersatzteilmengen auf Basis einer detaillierten Kenntnis über die Artikel und damit verbundenen Erfahrungswerten. Dabei greifen sie auf ihre Erfahrungen aus bereits erfassten Produktlebenszyklen zurück und berücksichtigen die bisherigen Absätze des jeweiligen Ersatzteils. Dieses Verfahren ist jedoch zeitaufwändig, da alle relevanten Informationen aus verschiedenen Oberflächen und Systemen zusammengetragen werden müssen. Außerdem werden aufgrund hoher Unsicherheiten in der Abschätzung traditionell auch hohe Sicherheitsbestände kalkuliert. Deshalb hat BSH die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services beauftragt, eine datengetriebene Lösung zu finden, mit der die Entscheidung automatisiert und verlässlich unterstützt werden kann.

»Saubere« Stammdaten als Basis

Im Projekt wurde schnell klar, dass die Aufgabenstellung aus verschiedenen Gründen auch datengetrieben nicht trivial lösbar ist: Zum einen waren zu wenig durchgängige Datensätze vorhanden, auf die die Analysen sich stützen könnten, so dass Stammdaten durch geschickte Verknüpfung und Heuristiken aufgefüllt werden mussten. Zudem waren die klassischen Methoden zur Zeitreihenvorhersage nicht anwendbar. Diese bilden das Muster einer Bedarfskurve mathematisch nicht ab, sondern erweitern den Trendverlauf der Ersatzteilbedarfe linear. Die Disponentinnen und Disponenten von BSH unterstützten deshalb zunächst die KI-Expertinnen und Experten von Fraunhofer mit ihrer Fachkenntnis, sodass gemeinsam eine »saubere« Datenbasis geschaffen werden konnte.

Zuverlässige Prognose mittels Clustering

Aufbauend auf dieser Datenbasis wurde von den Forschenden ein neues Prognoseverfahren für Ersatzteile entwickelt, indem sie aus verschiedenen Clustern von ähnlichen Ersatzteilen typische Absatzkurven ableiteten. Wenn nun der Bedarf bzw. die Nachfrage nach einem neuen Ersatzteil vorhergesagt werden soll, wird dieses auf Basis seiner Stammdaten einem bestimmten Lebenszyklus-Cluster zugeordnet. Dieses Clustering wurde iterativ wiederholt, sodass die datengetriebene Prognose inzwischen eine wertvolle Hilfe für die Disponentinnen und Disponenten darstellt.

Entwicklung eines datengetriebenen Prognose-Tools

Damit das hier entwickelte Prognoseverfahren einfach anzuwenden ist, entwickelten die Forscherinnen und Forscher eine graphische Oberfläche, die neben der Prognose auch die wichtigsten entscheidungsrelevanten Daten zu einem bestimmten Ersatzteil anzeigt. Über dieses Prognose-Tool können sich Disponentinnen und Disponenten zusätzlich Berichte zu allen Ersatzteilen generieren lassen. So kann beispielsweise auch Verschrottungspotenzial erkannt werden, indem das System Artikel identifiziert, denen voraussichtlich kein Bedarf mehr gegenüberstehen wird. In den letzten beiden Jahren hat sich dieses Tool bewährt und alle Beteiligten arbeiten an seiner Erweiterung – die letzte Entscheidung über den Ersatzteilbestand verbleibt allerdings immer bei den Disponentinnen und Disponenten.

Optimierung der Einlagerungsmenge

Ausgehend von einer präzisen Bedarfsprognose drängt sich die Frage nach einer kostenoptimalen Bestell- und Produktionsstrategie auf. Die Kosten einer Bestellstrategie setzen sich dabei aus zwei konfliktären Komponenten zusammen. Einerseits ist ein hoher Lagerbestand mit hohen Lagerkosten oder sogar Verschrottungskosten verbunden, falls zu viele Teile eingelagert wurden. Anderseits sinken die Stückkosten mit der Bestellmenge, sodass große Einmalbestellungen kostengünstiger sind als viele Einzelbestellungen. Mittels Techniken der gemischt-ganzzahligen Programmierung berechnet die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS eine kostenoptimale Bestellstrategie, die den bestmöglichen Kompromiss zwischen den beiden Kostenfaktoren findet und gleichzeitig die prognostizieren Bedarfe zu jedem Zeitpunkt abdeckt. Eine besondere Herausforderung stellt hierbei das sprunghafte Verhalten der Bestellkosten mit steigender Stückzahl dar. Durch geschickte Modellierungstechniken kann eine optimierte Bestellstrategie dennoch in wenigen Sekunden berechnet werden. Dies erlaubt eine Verwendung der Optimierungssoftware in Echtzeit. In einem weiterführenden Forschungsprojekt berücksichtigt die Optimierung sogar Unsicherheiten in der Bedarfsprognose, um das Risiko ungedeckter Bedarfe zu minimieren.

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