Die Manufacturing-X ist eine Initiative zur Digitalisierung von Fertigungs- und Lieferketten in der produzierenden Industrie und wurde von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft gestartet. Unternehmen sollen Daten über die gesamte Fertigungs- und Lieferkette souverän und gemeinsam nutzen können, um so die Transformation zu einer digital vernetzten Industrie zu realisieren. Die Akteure wollen hierfür die notwendigen Datenräume schaffen und einen vertrauensvollen, multilateralen Datenaustausch ermöglichen. Die Initiative kann als Dach von Catena-X für die Automobilindustrie und anderen industriellen Anwendungsbereichen verstanden werden, z.B. die Herstellung von Maschinen- und Anlagen und deren Komponenten. Die Transformationsaufgabe und die Herausforderungen bei der Umsetzung eines Datenraums sind außerhalb der Automobilwirtschaft aufgrund der hohen Produkt- und Prozessheterogenität sowie der diversifizierten Marktstrukturen ungleich größer. Insbesondere die Anschlussfähigkeit und die Befähigung des Mittelstands wird ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die wirksame Umsetzung von Manufacturing-X sein. Außerdem ist der von KMU geprägte Maschinen- und Anlagenbau stark auf Produkt- und Produktinnovationen fokussiert und sehr spezialisiert. Das Bewusstsein für die Mehrwerte, die sich aus dem Teilen von Daten ergeben, muss hier noch unterstützend weiterentwickelt werden. Vor diesem Hintergrund muss die Frage nach dem konkreten Nutzen und den Zugangsmöglichkeiten zu Manufacturing-X Datenökosystemen kontinuirlich adressiert werden.
Wir haben Dr. Nadja Hoßbach-Zimmermann, Leiterin der Abteilung Innovation and Transformation und Prof. Dr. Andreas Harth, Leiter der Abteilung Data Spaces and IoT Solutions , gemeinsam zu den Möglichkeiten von herstellerübergreifend organisierten Datenräumen und zu ihrem Engagement in diesem Kontext befragt:
Was bringen Datenräume, in denen multilateral Daten ausgetauscht werden für die beteiligten Unternehmen selbst?
Aktuell sehen wir insbesondere Mehrwerte in Sachen Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit: Prozesse können effizienter organisiert und Nachhaltigkeitsanforderungen leichter umgesetzt werden; außerdem kann dadurch die operative Betriebsfähigkeit von Lieferketten sicherer gestaltet werden. Gerade im Kontext Industrie 4.0 sind viele Anwendungsfälle entstanden, die sich mit Datenräumen besser oder erstmalig auch wirtschaftlich lohnend umsetzen lassen – was übrigens auch Expertenmeinung auf dem Leader’s Dialog der diesjährigen Hannover Messe war. Spannend ist hier insbesondere die Frage, wie neue Geschäftsmodelle identifiziert und gestaltet werden können, die über die einfache Veredelung oder Erweiterung der bestehenden Geschäftsmodelle hinausgehen. Hier sehen wir insbesondere beim Thema Circular Economy ein hohes Potenzial für digitale Innovationen, da gerade bei der Organisation von Wertschöpfung in Kreisläufen Datenverfügbarkeit und Transparenz eine große Rolle spielt.
An welchen Themen arbeitet die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS in diesem Kontext?
In der Abteilung Innovation and Transformation treiben wir das Thema aus Forschungs- und Industriesicht. Zum einen engagieren wir uns seit 2019 in der »Arbeitsgemeinschaft Geschäftsmodelle« der Plattform Industrie 4.0. Darüber hinaus begleiten wir seit 2020 das Projekt TEAM-X. TEAM-X ist ein durch das BMWK gefördertes Forschungsprojekt, in dem an einer vertrauensvollen und sicheren Nutzung von Patientendaten im Gesundheitssektor auf Basis von Gaia-X gearbeitet wird. Wir nehmen hier sowohl die Perspektive der Geschäftsmodellentwicklung als auch die der Nutzenden im Sinne einer Akzeptanzbetrachtung ein. Darüber hinaus setzen wir uns im industriellen Kontext in unserem Forschungsprojekt Reallabor Antrieb 4.0 intensiv mit den Möglichkeiten des herstellerübergreifenden Austauschs von Daten aus Antrieben mittels eines Gaia-X konformen Datenraums auseinander. Auch hier fokussieren wir auf den Mehrwert digitaler Services, die sich durch einen vertrauensvollen Austausch von Daten erst ergeben können. Aus unserer Sicht ist die Initiative Manufacturing-X, die zu großen Teilen aus der Industrie getrieben wird, nicht nur der Schlüssel für die Umsetzung von Use Cases, die stark das Thema Effizienzsteigerung im Blick haben, was ja bereits lange im Kontext Industrie 4.0 diskutiert wird. Wir sehen die Initiative auch als wichtige Voraussetzung für die Realisierung einer smarten Circular Economy und für die Erschließung neuer Geschäftsmodelle.
In der Abteilung Data Spaces and IoT Solutions befassen wir uns zudem mit dem organisationsübergreifenden Datenmanagement, was den Zugriff bzw. Austausch von Daten mittels feingranularer Zugriffsregelungen umfasst. Durch Wissensgraphen können Daten so ausgezeichnet werden, dass diese portabel werden und in unterschiedlichen Systemen und Anwendungskontexten eingesetzt werden können. Technologien wie Solid (Social Linked Data) erlauben den lesenden und schreibenden Zugriff auf Daten mit Hilfe standardisierter Schnittstellen. Außerdem können damit Zugriffsrechte ohne zentrale Komponenten feingranular festgelegt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass Daten nicht mehr nur rein virtuell behandelt werden müssen; denn Daten sind zunehmend an Sensoren und Aktoren in der physikalischen Welt gebunden. Technologien rund um das Web der Dinge (Web of Things, WoT) erlauben den standardisierten und herstellerübergreifenden Zugriff auf Sensoren und Aktoren. Auf dieser Basis können nun Systeme zur Überwachung und Steuerung in dezentral organisierten Umgebungen einfacher und schneller entwickelt und gepflegt werden. Auf Grundlage der bereits entwickelten Methoden und Softwaresysteme sind wir in der Lage, kurzfristig Prototypen und Demonstratoren aufzubauen.
Auf dieser Basis wollen wir als Arbeitsgruppe für Supply Chain Services alle die mit Manufacturing-X verbundenen Transformations- und Umsetzungsaufgaben gemeinsam mit der Industrie lösen!